Der Shooting-Star der Pariser Haute Couture-Woche im Juli hieß Iris van Herpen. Die 27-jährige Holländerin war als Gast-Designerin zum hochkarätigsten Event der Modewelt geladen, präsentierte knapp fünfeinhalb Minuten und stellte mit ihren futuristischen Kreationen die etablierten Design-Stars – darunter solche Branchen-Größen wie Gaultier, Lagerfeld und Armani – in den Schatten. Für van Herpen selbst ist Mode Kunst und damit viel mehr als Bekleidung oder ein kommerzieller Faktor. Ihre Entwürfe sind kompromisslos avantgardistisch und orientieren sich weder an einem Vorbild noch an Konventionen. Inzwischen reagierten andere Künstler auf die Kreativ-Designerin respektive Künstlerin: Lady Gaga und die isländische Rock-Sängerin Björk tragen ihre Outfits auf der Bühne und inszenieren sich auch durch die designerische Handschrift Iris van Herpens als Stil-Ikonen.
Kreative Visionen wie McQueen und Galliano
Das Rüstzeug für ihre Gratwanderung zwischen Modedesign und Kunst erhielt sie an der Kunsthochschule ArtEZ im niederländischen Arnheim und nicht zuletzt durch ein Praktikum bei Alexander McQueen, der zusammen mit John Galliano lange als Enfant terrible, aber auch als Vordenker heutiger Kreativ-Mode gilt. McQueen nahm sich 2010 im Alter von nur 41 Jahren selbst das Leben – Branchenkenner sehen Iris van Herpen bereits als legitime Nachfolgerin des genialen Briten.
Galaktische Mode und traditionelles Handwerk
Van Herpens Kreationen wirken oft wie Bilderwelten von einem anderen Stern. Ihre Models bewegen sich auf dem Laufsteg wie lebendige Skulpturen. Ein Kleid ihrer Kollektionen ist fast nie ein Kleid, sondern ein Drapeé aus schwarzen Plastik-Tentakeln, eine Speichenkreation mit Tudorkragen oder die Nachbildung eines Skeletts. Nicht nur Mode- sondern auch Kunstkenner zeigten sich begeistert von den filigranen – allerdings absolut alltagsuntauglichen – Gebilden.
Iris van Herpen kommentierte ihr Werk weniger galaktisch: Sie setze auf die Kombination von Alt und Neu und nicht zuletzt auf traditionelle – und in ihren Augen allmählich verschwindende – Handwerkskunst. Alle ihre Outfits sind von Hand gefertigt, selbst konventionelle Nähmaschinen kommen nicht zum Einsatz
Computergestützte Präzision
Ihre Entwürfe erarbeitet Iris van Herpen am Computer. Der Ausgangspunkt für die Modelle ist nicht visuell, sondern eine Abstraktion. Danach definiert und berechnet sie – vergleichbar einer Architektin – jedes einzelne Detail. Formal und bei den Materialien für ihre Kleider setzt sie konsequent auf Innovationen: Hartplastik, Metallseide und gesmoktes Leder kommen ebenso zum Einsatz wie Polyamidpulver, 3D-Prints oder – für ein Outfit ihrer Kollektion „Chemical Crows“ 2008 – die Speichen von insgesamt 700 Kinderschirmen.
Extreme Kreativität, Mut zum Experiment und ein künstlerisch-designerisches Selbstverständnis, das sich nicht an konventionellen Grenzen orientiert, bilden die Grundlage der ästhetischen Vision van Herpens – der neue Stern in der Couture-Galaxis wird hoffentlich sehr lange leuchten.
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