Gestern Abend beschloss das Defilee von Maison Martin Margiela die Haute-Couture-Woche in Paris. Grand Couturiers, Celebrities respektive die Käuferinnen ihrer Kollektionen sowie die entsprechende mediale Szene zelebrierten in der Seine-Stadt damit ein luxuriöses Fest weitab von den wirtschaftlichen Verwerfungen in der Euro-Zone, die das Luxus-Segment der Fashion- und Lifestyle-Unternehmen bisher nicht berühren.
Allerdings wurde bei den meisten Schauen deutlich: Mit Innovationen oder gar Avantgarde kann in der Haute-Couture-Welt derzeit – und vielleicht auch naturgemäß – nicht gerechnet werden. Die meisten Kollektionen bedienten konventionelle Fashion-Paradigmen und Frauenbilder. Gegenentwürfe dazu kamen unter anderem von Ricardo Tisci für Givenchy sowie Jean Paul Gaultier.
Givenchy – Kunst, Perfektion und transzendente Stories
„Back to the roots“ wird möglicherweise das neue große Fashion-Thema – sehr deutlich klang es beispielsweise in der Herren-Kollektion von Dolce & Gabbana an, die das Designer-Duo auf der „Milano Moda Uomo“ zeigte. Ricardo Tisci lieferte jetzt für Givenchy eine Haute-Couture-Version, allerdings ohne Folklore und Nostalgia, sondern in fast transzendenten Bildern. Als Inspirationsquellen für seine aktuelle Kollektion nannte der Designer einerseits historische Givenchy-Entwürfe respektive die Arbeiten Hubert de Givenchys aus den 1960er Jahren, andererseits die „Opulenz der Gypsy-Welt“ in Süditalien und damit Tiscis Heimat.
Das Ergebnis bewegt sich im Grenzbereich von Mode und expliziter Kunst, gleichzeitig repräsentieren Tiscis Roben handwerkliche Vollendung. Schmale Lederstreifen werden je nach Entwurf zur Stola oder zum opulenten Umhang, perlenbesetzen Fransen produzieren Farbverläufe, die fließend ineinander übergehen, das Spiel mit Verhüllung und Enthüllung erzeugt Spannungsbögen. Mit seiner Kollektion hat sich Ricardo Tisci sehr weit von den gängigen Facetten der Haute-Couture entfernt – seine Kreationen stehen nicht für repräsentative Eleganz, sondern für Geschichten, die sich idealerweise mit der persönlichen Story der Trägerin verbinden.
Jean Paul Gaultier – androgynes Dandytum und Filmzitate
Jean Paul Gaultiers Haute-Couture-Kollektion orientierte sich auf kalkuliert theatralische und natürlich etwas provokative Weise an der Fashion-Ikonografie der 1920er Jahre sowie an Dandy-Styles des 19. Jahrhunderts. Inspiriert wurde der Designer dafür durch Filme – und Pete Doherty. Der britische Sänger gab gerade sein Schauspieldebüt im Kinofilm „Confession of a Child of the Century“ („Bekenntnis eines jungen Zeitgenossen“). Für Gaultier, der den Film in Cannes als Jury-Mitglied sah, wurde Doherty alias Octave als „verführerischer, dekadenter Dandy“ zu seiner aktuellen Muse.
Ein androgyner Dandy-Touch findet sich in vielen seiner Looks. Andere Passagen zeigten Referenzen zu Fritz Langs expressionistischem Film-Klassiker Metropolis. Seine eigenen Bilderwelten zitierte Gaultier unter anderem in einer SciFi-Corsage aus Metallic-Stäben.
Film-Star Bette Midler äußerte als Fazit, Jean Paul Gaultiers Schau sei „lebendig und provokativ“ – und gerade deshalb sei sie hier.
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